Biografie Rosalie Fröhlich

Recherche: Wiltrud und Dr. Andreas Fröhlich

Tante Rosa besuchten wir nicht oft, nur gelegentlich, wenn meine Schwester und ich in den Ferien in Kaiserslautern waren. Dann stand dieser Besuch an, zusammen mit einer Tante oder mit der „mütterlichen“ Großmutter. Es waren keine besonders erfreulichen Besuche. Wir standen unten an der großen Haustür, klingelten, nach eine Weile ging oben ein Fenster auf, eine alte Frau schaute heraus, rief, und warf einen in Zeitungspapier gewickelten Schlüssel zu uns herunter. Mit dem konnte man dann die Tür aufschließen. Im Obergeschoss kam man durch eine immer dunkle Küche in eine Art -auch im Sommer kühles – Wohnzimmer, in das aber helles Licht fiel.
Der kleine Junge und seine Schwester saßen gelangweilt auf einem Stuhl, wollten nichts sagen, hatten auch nichts zu sagen. Aber es gab etwas, auf das zumindest die Schwester jeweils wartete: Das Öffnen des Buffets. In diesem war Mazzen aufbewahrt und die durfte man sich nach freundlicher Aufforderung holen. Es schmeckte seltsam fad, aber es war einzigartig und die Erinnerung daran behielt für die Schwester bis heute einen besonderen „Klang“, stand für etwas, das einzig war an Tante Rosa.

Tante Rosa war die ältere Schwester unseres Großvaters väterlicherseits. Den Großvater hatten wir nie kennen gelernt, er war ein Jahr nach Kriegsende, vor unserer Geburt gestorben. Tante Rosa überlebte alle ihre Geschwister.

Sie war das sechste von acht Kindern von Regina und Ludwig Fröhlich, geboren am 6. 7. 1866. Ihre älteren Brüder Max, Leo und Elias waren schon vor 1900 nach Amerika ausgewandert, wie so viele Pfälzer in der damaligen Zeit. Zwei Schwestern hatte sie. Amalie, das achte Kind, starb schon im Alter von zwei Jahren, die Schwester Nettchen war sechzig, als sie im Jahr 1920 starb. So blieben sie und Adolf, ihr jüngerer Bruder, unser Großvater übrig.

Schon ihre Eltern wohnten und arbeiteten in der Schmiedstraße 4. Ludwig Fröhlich war Landmann und Milchhändler, besaß einiges Land an der „Neuen Kirche“ (Marienkirche), die damals ja noch auf fast freiem Feld stand.

Die Mutter, Regina starb 1905, der Vater 1911. Rosalie und Nettchen Fröhlich, die Töchter blieben im Elternhaus wohnen, Adolf gründete eine eigene Familie in Kaiserslautern.

Aus der Zeit vor 1933 wissen wir nur wenig von ihr. Lediglich in einem späteren Brief an ihren Bruder lassen sich Spuren finden:

„Wäre ich, seit Vater gestorben, nicht so ehrgeizig gewesen & nicht alles von dem meinen ( Geld) geregelt, so hätte ich heute nach 31 Jahren um die Hälfte mehr, aber ich war immer bedacht, reinen Tisch zu haben.“

Sie listet dann auf, welche Grundstücke aus dem elterlichen Erbe wieder verkauft wurden, sie schreibt von Transaktionen mit der Bank, kümmert sich um die Anteile der amerikanischen Brüder am Besitz der Familie und betont dabei immer wieder ihre Selbstständigkeit während all der Jahre.

Während des ersten Weltkrieges war sie viereinhalb Jahre beim Roten Kreuz tätig, erhielt dafür zwei Auszeichnungen.

Fräulein Fröhlich, dieses Fräulein war für sie, wie für manche anderen Frauen dieser Generation, durchaus ein Ausdruck der Unabhängigkeit. Wir wissen nichts über befreundete Menschen, mit wem sie „verkehrte“, wie sie besondere Tage verbrachte, wofür sie sich besonders interessierte. Sie taucht auf Fotos von Familienfeiern auf, sie erkundigt sich auch aus dem Lager immer nach den Kindern ihres Bruders in Kaiserslautern und nach denen der Brüder in den USA.

Auch ihr persönliches Verhältnis zum Judentum erschließt sich uns nicht mehr. Ein jüdisches Gebetbuch ihres Vaters, ein Kochbuch für die koschere Küche sind uns von ihr geblieben. Die oben erwähnte Mazzen bekam sie wohl von der Familie aus den USA geschickt. Das alles lässt keine Rückschlüsse zu. In ihren Briefen wird immer wieder auf Gott Bezug genommen, aber eher in allgemeinen Formulierungen, nicht „religionsspezifisch“.

Wir lassen es offen, es spielt ja auch für ihr „jüdisches Schicksal“ im Dritten Reich keine entscheidende Rolle.

Rosalie Fröhlich wird am 22. Oktober von der Löwenburg in Kaiserslautern aus nach Gurs in Frankreich „evakuiert“, wie ihr Bruder in einem Brief an das Reichsinnenministerium schreibt. Fünfundsiebzig Jahre alt. Die Westmark wird offiziell „judenfrei“.

In der Folgezeit wird ihr Haus in der Schmiedstraße, trotz ständiger Proteste ihres Bruders, von der Stadt Kaiserslautern in Beschlag genommen, ihre Möbel werden zunächst auf den Speicher gebracht, später wird ausgeräumt, alles in ein Lager in der Bremerstraße verbracht und am Ende billig verkauft. Das Haus wird von der Stadt mit ihr unbekannten Mietern belegt.

Wir besitzen einige Ordner gefüllt mit Korrespondenz der Familie mit Behörden, mit dem Roten Kreuz, mit dem französischen Service Social d‘Aide aux Emigrants, mit einer ungemein engagierten Frau aus der Schweiz, die immer wieder vermittelnd wirken konnte, und eben die charakteristischen Rot-Kreuz Kurznachrichten von Rosalie Fröhlich selbst. 25 Worte waren erlaubt, einmal im Monat, Zensur inbegriffen.

Es geht ihr, wie auch ihrem in Kaiserslautern lebenden jüngeren Bruder gesundheitlich zunehmend schlecht. Sie magert ab, leidet unter Kälte, Schmutz, Mangel aller Art, und an Heimweh. Beide glauben aber daran, dass dieser Krieg zu Ende gehen wird und dass sie sich dann wieder sehen. Der Krieg ging zu Ende, aber sie haben sich nicht mehr wieder gesehen.

Von Gurs aus wurde sie nach Masseube verlegt, ein anderes Lager, von dem man zunächst hoffte, die Bedingungen seien dort besser als in Gurs. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Immer wieder bemüht sich die Familie über Verwandte in den USA, über Portugal und die Schweiz, ihr Kleidung, Wäsche und auch Nahrungsmittel im Lager zukommen zu lassen. Auch Geldtransfers sind ab und zu möglich – doch sie teilt mit, dass vieles nicht ankommt, dass im Lager alles ständig teurer wird.

Sie ist damals etliche Jahre älter als wir heute. Es nötigt einem sehr großen Respekt ab, dass Tante Rosa so viel Energie hat, dass sie unter den Lagerbedingungen überhaupt noch leben kann und will. Welche Kraft hatte sie und woher hat sie diese genommen?

Nach der Befreiung – das haben wir erst vor wenigen Jahren gefunden – war sie im Süden Frankreichs in einer Art Sanatorium untergebracht. Eine jüdische Wohlfahrsorganisation ( Cojasor, gegr. 1945) hatte das Hotel Central in Lacaune (Tarn /Frankreich) zu einem Haus für alte und kranke ehemalige Lagerinsassen umfunktioniert. Das einst mondäne Hotel mit diskreten Tanz- und Spielsalons, war durch den Krieg verwaist und stand leer. In Lacaune starben viele dieser geschwächten alten Männer und Frauen, viele konnten dann aber nach Monaten der Rekonvaleszenz auch wieder eine lange Reise antreten. (Heute ist das Hotel wieder in Betrieb, die gelungene Restaurierung lässt etwas von der Geschichte ahnen).

Rosalie Fröhlich kam tatsächlich wieder nach Kaiserslautern zurück, wie sie es sich gewünscht hatte. Sie wollte auf dem Friedhof beerdigt werden, auf dem ihre beiden Schwestern, ihre Eltern und Großeltern schon lagen. Ihren Grabstein hatte sie schon lange dort.

„…bin ich doch noch in allem auf der Höhe, komme ich zurück & alles ist anders als ich erhofft, so gibt es immer noch einen Ausweg – & weniger wie ich es jetzt habe kann es nicht sein —aber trotz allem trage ich das auferlegte mit Stolz habe ja nichts unrechtes getan, nur weil ich das Kind meiner Eltern bin, rufe jeden Tag den l.Gott an mich gesund da heraus zu führen — habe nichts gegen Kälte & nichts gegen Hitze nicht innen nicht außen—“

Wenn wir dann nach einem Besuch wieder gingen, ließ sie von oben eine dünne Kordel herab, an die banden wir den Schlüssel, nachdem wir die Haustüre abgeschlossen hatten.

Am 13. Juli 1957 starb Rosalie Fröhlich mit über neunzig Jahren in Kaiserslautern. Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof beerdigt.

Quellen:

  • Fialkow, Jacques (ed.) (2003), Vichy, les Juifs et les Justes. L‘exemple du Tarn. Éditions Privat, Toulouse
  • Gilcher, Dagmar (2013), Wege zu Tante Rosalie, Die Rheinpfalz Nr. 92 Ihr Wochenende, Ludwigshafen
  • Marc, Sandra (2014), Les Juifs de Lacaune (Tarn) dans l‘après – guerre, L‘Harmattan, Paris
  • Paul, Roland ( 1991), Die Deportation der Juden aus der Pfalz nach Gurs in Südfrankreich, in: Pfalzatlas, Textband IV, Pfälzische Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, S. 1995 – 2004, Speyer
  • Privates Archiv Fröhlich, Kaiserslautern